Geschichte der Partnerschaft zwischen Eichstätt und Bolca di Vestenanova
Auf den ersten Blick ist es schwer, Gemeinsamkeiten zwischen der Bischofsstadt an der Altmühl und der kleinen Berggemeinde am Anfang des Alpone-Tals nordöstlich von Verona (ca. 50 Fahrkilometer entfernt) zu finden. Das Verbindende zwischen ihnen ist, dass sich in ihrer unmittelbaren Umgebung bedeutende, international bekannte Fossil-Lagerstätten befinden: bei Eichstätt die etwa 150 Millionen Jahre alten Solnhofener Plattenkalke, deren berühmtestes Fossil Archaeopteryx ist und bei Bolca die etwa 50 Millionen Jahre alten eozänen Plattenkalke mit einer einzigartigen Fischfauna (–> Viohl 2008 Monte-Bolca – eine klassische Fossillagerstätte). Vermutlich handelt es sich um das einzige Beispiel einer internationalen Gemeindepartnerschaft aufgrund von Fossilien.


Erster Kontakt
Am Anfang stand ein Informationsbesuch des Verfassers, der damals Assistent an der Philosophisch-theologischen Hochschule in Eichstätt war, im naturhistorischen Museum in Verona im Jahre 1969, während der Planungsphase des Jura-Museums. Sein damaliger Chef, Prof. Dr. Franz Xaver Mayr, hatte ihn beauftragt, bei dieser Gelegenheit einige Bolca-Fossilien für die Sammlung der Philosophisch-theologischen Hochschule gegen Solnhofener Fossilien einzutauschen. Dies war allerdings in Verona nicht möglich, da alles Material registriert war und ein Tausch gegen das italienische Gesetz verstoßen hätte. Der Museumsangestellte und Pförtner Sergio Caobelli führte den Verfasser aber nach Bolca zu Massimiliano Cerato ( –> Viohl & Tischlinger 2012), dem Besitzer der sog. Pesciara („Fischgrube“), der damals noch wissenschaftlich weniger bedeutsames Material verkaufen und tauschen konnte.
Cerato war an einem Tausch sehr interessiert, und so gelangten einige wertvolle und auch nicht so häufige Bolca-Fossilien in die Eichstätter Sammlung. Bald darauf erfolgte ein Gegenbesuch von Sergio Caobelli, Massimiliano Cerato und des Journalisten und Public-Relation-Spezialisten Dr. Enzo Stanghellini in Eichstätt.
Dieser hatte eine „Associazione Internazionale Amici di Bolca“ gegründet, und sein Verdienst war es, Bolca auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Der Verfasser lud die Gäste zu einem Rehbraten ein, der für Stanghellini, einen Gourmet, „la fine del mondo“ („das Ende der Welt“) war. Bei diesem Essen schlug Stanghellini eine Partnerschaft zwischen Bolca und Eichstätt aufgrund der berühmten Fossilien in beiden Kommunen vor.
Der Verfasser überbrachte diese Idee dem damaligen Eichstätter Oberbürgermeister Dr. Hans Hutter (Hutter 1993?), der sie sogleich freudig aufgriff.
Im Juni 1971 fand die –> Museumseinweihung in Bolca statt, an der neben dem Verfasser auch Fritz Bergér, Harthof, und Franz Weigert aus Neuburg, bekannt durch seine Prägedrucke von Fossilien, teilnahmen. Da Dr. Hutter verhindert war, beauftragte er den Verfasser, eine Grußbotschaft in seinem Namen zu überbringen.


Bei dieser Gelegenheit durfte dieser auch zusammen mit dem damaligen Bürgermeister von Vestenanova Giovanbattista Caltran und dem Präsidenten der Comunità della Lessinia, Neristo Benedetti, das Straßenschild der Via Eichstätt-Solnhofen (Weg, der zur Pesciara, der Fischgrube, führt) enthüllen.

Diese Museumseröffnung fand dank der Aktivität von Dr. Stanghellini eine ungewöhnliche Resonanz in der internationalen Presse. Auch große deutsche Tageszeitungen, wie die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Welt, berichteten darüber und erwähnten in diesem Zusammenhang auch die Versteinerungen von Solnhofen und Eichstätt.
Offizielle Besuche

Anfang November 1971 besuchte Dr. Hutter auf der Rückfahrt von einer Kur in Abano selbst Verona und Bolca und war begeistert vom herzlichen Empfang. Im Jahre 1972 machte der Eichstätter Stadtrat seinen Betriebsausflug nach Verona, Bolca und anderen Orten in der Umgebung. Organisiert wurde dieser Besuch von Prof. Arcaroli, dem Präsidenten der Ente Provinciale per il Turismo von Verona, und Dr. Stanghellini. Im Oktober desselben Jahres kam eine 15köpfigen italienischen Delegation nach Eichstätt. Dabei standen nicht nur die Besichtigung der Stadt, sondern auch Besuche der Druckerei von Franz Weigert in Neuburg, des Museums Bergér auf dem Harthof und des Museums auf dem Maxberg – das Jura-Museum existierte damals noch nicht – auf dem Programm.
Die Partnerschaft

Offiziell besiegelt wurde die Partnerschaft zwischen Eichstätt und Bolca-Vestenanova mit Feiern in Vestenanova und Bolca am 24. Juni 1973 und in Eichstätt am 20. Oktober desselben Jahres. In der Urkunde heißt es u. a.: „Die Partnerschaft soll der menschlichen Begegnung und dem wissenschaftlichen Austausch dienen, zur Freundschaft zwischen dem deutschen und italienischen Volk dienen und damit einen Baustein zum friedlichen und geeinten Europa bilden.“
–> Zeitungsausschnitt Eichstätter Kurier 1973
In der Folgezeit entwickelte sich ein reger kultureller und menschlicher Austausch zwischen den beiden Partnergemeinden, der sich auch auf Verona und das Lessinische Bergland ausdehnte. Viele Eichstätter Gruppen und Vereine, so der Domchor, die Stadtkapelle, der Trachtenverein, die Feuerwehr, der –> Historische Verein, die Freunde des Jura-Museums, die Kreisgruppen des Bundes Naturschutz und des Landesbundes für Vogelschutz, besuchten Bolca und seine Umgebung sowie Verona.

Der Verfasser führte selbst mehrere Exkursionen dorthin. Umgekehrt kamen viele Italienische Gruppen nach Eichstätt, regelmäßig zum Volksfest oder Altstadtfest, aber auch um Eichstätt und unser Gebiet im Rahmen von Exkursionen näher kennenzulernen, so z. B. die „Associazione dei Naturalisti di Verona“ und die „Associazione Paleontologica Val Nera di Roncà“. Das Verdienst von Oberbürgermeister Arnulf Neumeyer ist es, ein jährliches Fußballturnier zwischen den Partner-Gemeinden Chrastava, Vestenanova-Bolca und Eichstätt organisiert zu haben.

Dass diese Partnerschaft sich so hervorragend entwickelte, ist in entscheidendem Maße das Verdienst von Sergio Caobelli (Viohl 2007). Einerseits war er eingebunden in ein ganzes Netzwerk von Freunden über die ganze Provinz Verona, was die Organisation von Studienfahrten in dieses Gebiet enorm erleichterte. Er begleitete auch gern Eichstätter Gruppen bei ihren Besuchen; denn es bereitete ihm große Freude, anderen seine Heimat zu zeigen. Auf der anderen Seite wurde Sergio so etwas wie der ständige Botschafter Bolcas und Veronas in Eichstätt.
Viele Jahre hindurch kam er mindestens einmal im Monat, meistens zusammen mit seinem Freund Adelchi di Bernardo, seinem „Fahrer“, in unsere Stadt, bis zum Juni 1989 über 200mal. Er hatte hier viele Freunde und war Mitglied der Freunde des Jura-Museums und des Trachtenvereins. Über alles liebte er die bayerische Volksmusik und Folklore, und Eichstätt war ihm zur zweiten Heimat geworden. Am 24. Juni 1989 verlieh die Stadt Eichstätt, vertreten durch Oberbürgermeister Ludwig Kärtner, Sergio Caobelli die –> Bürgermedaille für seine Verdienste um die Partnerschaft mit Bolca. Am –> 15. Juli 2007 starb Sergio Caobelli nach längerem Leiden in einem Krankenhaus in Verona.
Deutsche Kriegsverbrechen
Zur Feier des –> 30jährigen Bestehens der Partnerschaft am 24. Juni 2003 fuhr eine Eichstätter Delegation, darunter der Verfasser, nach Bolca bzw. Vestenanova. In den Reden von italienischer Seite wurde zur Verwunderung des Verfassers die Begründung der Partnerschaft als mutige Tat bezeichnet. Auf seine Nachfrage, warum dies mutig gewesen sei, erfuhr er, dass damals ein –> großer Teil der Einwohnerschaft gegen die Partnerschaft mit einer deutschen Gemeinde gewesen sei. Als Grund wurden –> Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht gegen Ende des zweiten Weltkrieges genannt. Der damalige Bürgermeister Giovanbattista Caltran wollte jedoch die Versöhnung und setzte die Partnerschaft gegen großen Widerstand durch. Der Verfasser wollte Näheres über diese Kriegsverbrechen erfahren und bekam sogleich zwei Bücher geschenkt, die die Ereignisse in der Gegend in den Jahren 1944/45 schildern. Eines, „Vestenanova nell’uragano“, stammt aus der Feder des ehemaligen Pfarrers von Vestenanova Don Attilio Benetti (1946), der sehr detailliert die schrecklichen Begebenheiten in dieser Gemeinde und viele Einzelschicksale behandelt. –> Deutsche Soldaten brannten 300 Häuser nieder, plünderten und erschossen 35 Zivilisten, darunter auch Kinder, die nichts mit den Partisanen zu tun hatten. Auch Bürgermeister Edo Dalla Verde verlor mehrere Verwandte, darunter zwei Cousins im Alter von 15 und 16 Jahren. Der geschichtliche Hintergrund ist folgender: Am 25. Juli 1943 setzte der „Gran Consiglio del fascismo“ den Duce Benito Mussolini ab und ersetzte ihn durch Marschall Badoglio. Am 8. September 1943 unterzeichnete die neue italienische Regierung den Waffenstillstand mit den Alliierten, die bereits in Süditalien gelandet waren. Dies bewirkte die Auflösung des italienischen Heeres und die deutsche Invasion Italiens. Am 12. September 1943 wurde Mussolini, der am Gran Sasso interniert war, von deutschen Fallschirmjägern befreit. In Salò am Gardasee gründete er unter deutschem Protektorat die „Repubblica Sociale Italiana“. Dagegen erhob sich eine Partisanen-Bewegung. Die deutsche Wehrmacht reagierte mit äußerster Härte und schweren Repressalien, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden hatte (siehe auch Gecchele & Vicentini 1995).
Versöhnung nach 60 Jahren
Im Oktober 2003 erfolgte der Gegenbesuch einer 85köpfigen italienischen Delegation in Eichstätt zur Feier des 30jährigen Bestehens der Partnerschaft. Oberbürgermeister Arnulf Neumeyer beauftragte den Verfasser, im Holzersaal die Festrede zu halten. Dieser nahm diese –> Gelegenheit zum Anlass, sich bei den Italienern für die von Deutschen verübten Kriegsverbrechen zu entschuldigen. Diese Rede empfanden viele der anwesenden Italiener als eine Art Befreiung und erklärten, nun seien die Hindernisse für die Partnerschaft beseitigt und man könne sich ganz der Zukunft zuwenden. –> Der Pressebericht darüber in Verona fand auch dort eine lebhafte Resonanz und führte zu lebhaften Diskussionen und zum Nachdenken über die eigene Rolle am Ende des Krieges.
Seit dieser Zeit fährt jedes Jahr zum Tag der Gefallenen beider Weltkriege (am 4. November bzw. am darauffolgenden Sonntag) eine Abordnung aus Eichstätt (darunter bisher fast immer der Oberbürgermeister und der Verfasser) nach Vestenanova, um dort für die Opfer des Nationalsozialismus einen Kranz niederzulegen. Beim ersten Mal, im Jahre 2004, verlieh Bürgermeister Edo Dalla Verde dem Verfasser zu dessen großer Überraschung die –> Ehrenbürgerschaft von Vestenanova, wohl in erster Linie wegen dessen Rede in Eichstätt.

Bürgermeister Edo dalla Verde (Mitte) und die Eichstätter Delegation (von rechts Stadträtin und MdL Eva Gottstein und Oberbürgermeister Arnulf Neumeyer, von links Günter Viohl und Stadtrat Willi Reinbold) vor dem Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus.
Wiederbelebung
Im Laufe der Zeit wurden die Partnerschaftskontakte außer den offiziellen Besuchen leider immer spärlicher. So besuchte seit 2012 keine größere italienische Gruppe mehr Eichstätt, auch nicht zum Volksfest, was vorher eine Tradition gewesen war. Dies hat sicher auch finanzielle Gründe; denn die wirtschaftlichen Probleme sind bei den italienischen Partnern gewachsen, und die Reisen nach Eichstätt sind für die Italiener wesentlich teurer als umgekehrt für die Eichstätter nach Bolca.

Erfreulicherweise gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Begegnungen auf musikalischem Gebiet. Den Anfang machte 2015 der Chor „NovaCantica“ der Dompfarrei, der zusammen mit seinem Dirigenten Dr. Gernot Lorenz und Dompfarrer Josef Blomenhofer Bolca besuchte und in der dortigen Kirche ein Konzert gab. Erst im September 2017 erfolgte der Gegenbesuch des Kirchenchores von Bolca –> „Coro de Bolchan“ (de Bolchan = cimbrisch: die Wolken). Er gab ein Konzert unter dem Titel „Amor sacro, amor profano“ im Spiegelsaal der Residenz und sang zusammen mit dem Chor „NovaCantica“ in der Messe in St. Walburg. Die hohe Qualität der Darbietungen animierte die Leiterin des „Musiknetzes Eichstätt“ Lydia Tyrakowski-Cebulla, ihrerseits mit der Gruppe „Eichstätter Längsflöten“ ein Konzert in Bolca und im nicht weit entfernten Velo Veronese zu geben, welches 2018 realisiert wurde. Dabei kam die Semi-Opera „King Arthur“ von Henry Purcell in einer konzertanten Bearbeitung zur Aufführung. Die Gesangspartien übernahm Raffaella Benetti. Am 1. Juni 2019 wurde dieses Konzert nochmals im Eichstätter Spiegelsaal wiederholt.
Gründung des Vereins „Freundeskreis Bolca-Eichstätt“

Am 29. März 2019 konstituierte sich in Eichstätt der Verein „Freundeskreis Bolca-Eichstätt“, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die bestehende Partnerschaft weiter auszubauen und zu pflegen sowie auch Beziehungen zu anderen Orten der Region aufzunehmen. Zum Vorsitzenden wurde Dr. Gernot Lorenz gewählt.
Exkursion 2019

Vom 11. bis 16. Juni 2019 führte der Verfasser – sicher zum letzten Mal – eine Studienfahrt ins Trentino sowie nach Bolca und in das Lessinische Bergland durch, auch im Bestreben, bei Eichstättern das Interesse für diese Region neu zu entfachen.
Städtfreundschaft

Anfang November 2019 wurde in Gegenwart des gesamten Eichstätter Stadtrates und des Chores „Nova Cantica“ eine Städtefreundschaft mit einem weiteren Ort der Region, dem Städtchen Montegalda bei Vicenza, besiegelt. Ausgangspunkt dafür war ursprünglich der Roman „Il mistero del poeta“ des berühmtesten Sohnes von Montegalda, Antonio Fogazzaro (1842-1911), der z.T. in Eichstätt spielt. Die Initiative dazu ging von Bürgern Montegaldas aus, die vorher mehrfach Eichstätt besucht hatten.
Fast alle für 2020 und 2021 geplanten Begegnungen mussten leider aufgrund der Corona-Krise entfallen.
Literatur
Benetti, A. (1946): Vestenanova nell‘uragano. – 170 S.; S. Bonifacio (VR).
Gecchele, M. & Vicentini, D. (1995): Il dolore della guerra. Vicende e testimonianze in val d’Alpone e dintorni. – 178 S.; Vago di Lavagno (VR).
Viohl, G. (1983): Eichstätts Patenort als Fossillagerstätte.- Archaeopteryx, 1: 42-49.
Viohl, G. (2007): Botschafter Bolcas in Eichstätt. Zum Tod von Bürgermedaillenträger Sergio Caobelli. – Eichstätter Kurier vom 28. Juli 2007, S. 24.
Viohl, G. (2008): „Monte Bolca“, eine klassische Fossil-Lagerstätte in den Lessinischen Bergen. – Archaeopteryx, 26: 27-60.
Günter Viohl